Ich denke nicht, ich fühle dich!

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„Liebe Mama, lieber Papa,

Ich weiß, ihr erklärt mir viel, warum ich das so machen sollte oder so, warum ich das nicht machen sollte und so nicht sein sollte. Aber ganz ehrlich, manchmal verstehe ich es nicht. Ich verstehe eure komische, begrenzte Welt nicht! Und ich verstehe nicht, warum ich anders sein soll, wenn ich doch so wie ich bin, am glücklichsten bin.

Ich kann dir, liebe Mama, lieber Papa, aber sagen was ich fühle: ich fühle, wenn du traurig bist, wütend bist, unsicher bist und überfordert bist. Ich fühle, wenn du über deine Grenzen gehst und dich selbst verlässt. Ich fühle, wenn du mit deinen Gedanken nicht anwesend bist, sondern in der Vergangenheit, in der Zukunft, bei dem letzten Streit, bei deiner Arbeit oder in einer anderen Welt. Ich fühle, wenn du nicht bei dir bist und nicht hier bist. Ich fühle, wenn du dich selber nicht magst und ich fühle, wenn du unglücklich bist.

Ich verstehe dich nicht, aber ich fühle dich. Und ich kann dir nur mit meinen Gefühlen antworten. Ich antworte dir mit Unsicherheit, wenn du unsicher bist, aber glaubst ich spüre es nicht. Ich antworte dir mit Wut, wenn du wütend bist, aber die Wut vor mir verstecken möchtest. Ich antworte dir mit Abwesenheit, wenn du abwesend bist und so tust als wäre alles in Ordnung. Ich antworte dir mit Angst, wenn du deine Angst nicht spüren willst. Ich antworte dir mit Gefühlsausbrüchen, wenn du deine Gefühle zu sehr kontrollierst.

Ich fühle,
ich fühle dich,
ich sehe dich,
aber ich verstehe dich nicht.

Ich verstehe nicht, warum du unglücklich bist. Ich verstehe nicht, warum du unsicher bist. Ich verstehe nicht, warum du überfordert bist. Ich verstehe nicht, warum du dich selber verlässt. Ich verstehe nicht, warum du dich zurück ziehst und in dir einschließt. Ich verstehe nicht, warum du nicht DU bist, wenn du doch so am schönsten und glücklichsten bist.
Und ich verstehe nicht, warum ich nicht ICH sein darf, wenn ich doch so am glücklichsten bin.

Bitte zeige mir, wie ich glücklich sein kann, weil du es bist. Zeige mir, wie ich zufrieden sein kann, weil du es bist. Zeige mir, wie ich zu mir selber stehen kann, weil du zu dir stehst. Zeige mir, wie ich mich selber lieben kann, weil du dich liebst.

Liebe Mama, lieber Papa, ich sehe dich mit all deinen Gefühlen. Aber ich bin nicht für deine Gefühle verantwortlich.

Ich kann dir nur antworten und zeigen was ich fühle, damit du siehst, dass ich dich sehe.

In Liebe, dein Kind“